Zusammenarbeit
Die Entstehung der Corps
Der Niedergang der bisherigen Landsmannschaften und Orden hinterließ in dem studentischen Gemeinschaftsleben zunächst eine gewisse Leere. Wohl fristeten um 1800 noch Reste ihr Dasein. Aber Zulauf fanden sie nicht mehr. Der Großteil der Studenten lehnte sie ab. Frankreichs bzw. Napoleons Verhalten im Frieden von Luneville (9. 2. 1801, Verlust des linken Rheinufers, Verlust von Mainz und Köln, Aachen und Trier), die Ergebnisse des so unglücklichen Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. 2. 1803 ließen die Propaganda der Ideen der Französischen Revolution fadenscheinig und die Reden der Ordensbrüder hohl erscheinen. Die Überzeugung verbreitete sich immer mehr: Der Heimat drohten neue ernste Gefahren und es sei an der Zeit, sich endlich wieder auf das eigene Vaterland zu besinnen, sich enger um den angestammten Herrscher zu scharen. Eine nationale Welle ging durch das Land.
Auch diesmal blieb die Auswirkung auf die Studentenschaft nicht aus. Eine neue Verbindungsart entstand und löste die alten Gebilde ab: die konstituierten Landsmannschaften. Hier sammelten sich die, die den neuen Anschauungen Rechnung tragen wollten. Das ist der Ursprung der Corps, denn dieser Name wurde bald nach und nach für diese neue Art der Landsmannschaft üblich. In der äußeren Form waren natürlich auch in ihnen wieder die Überlieferungen der vergangenen Zeit verschmolzen.
Von den alten Landsmannschaften übernahmen die Corps, von einigen Ausnahmen namentlich in Süddeutschland abgesehen, das Rekrutierungssystem nach Vaterländern, d. h. nach den Geburtsorten der Studenten. Dabei wurden jedem Bund durch eine mit den übrigen Landsmannschaften der Universität abgeschlossene Vereinbarung, dem Kartell, bestimmte Teile Deutschlands und des Auslandes mit der Auflage zugewiesen, nur aus diesem Teil ihren Nachwuchs zu nehmen. Das Hauptgebiet dieses Rekrutierungs-Kantons gab dann auch der Landsmannscbaft den Namen, und da eine solche Aufteilung in dieser Zeit praktisch auf allen Universitäten stattfand, tauchen auch auf mehreren Hochschulen zu gleicher Zeit die gleichen Namen der Landsmannschaften auf. Aber ein erheblicher Unterschied bestand doch bei der Rekrutierung zwischen den alten und diesen neuen Landsmannschaften. Jetzt konnte nicht mehr wie früher jeder Landsmann ohne weiteres bei seiner Landsmannschaft eintreten, die neuen Landsmannschaften suchten sich ihre Mitglieder selbst aus und hielten bewusst den engeren Bund in einem kleinen Rahmen. Von den Orden wiederum übernahm die junge Landsmannschaft die feste Organisation des inneren Aufbaus. An Steile der Ordensgesetze schufen sie sich Konstitutionen, in denen der Zweck und das Ziel der Verbindung, ihre Einrichtungen, die Stellung der Mitglieder und ihre Aufgaben ebenso wie die Strafen genau niedergelegt waren. Ihre Innehaltung musste der Recipiend mit einem feierlichen Gelöbnis, analog dem Ordenseid, und nicht nur wie bei den alten Landsmannschaften mit Handschlag, geloben. Konstituierte oder geschworene Landsmannschaften nannte man sie daher jetzt.
Aber nicht nur im Aufbau, auch im Zweck und Ziel war etwas Neues entstanden. War die Landsmannschaft bisher nur ein Mittel zur Hebung des geselligen Verkehrs der Landsleute untereinander und ein Verband zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung in Not und Krankheitsfällen gewesen, hatten die Orden namentlich in der letzten Zeit bestimmte politische Ziele verfolgt, so wollte die neue Landsmannschaft unter ausdrücklicher Ablehnung aller politischen Tendenzen ein Bund unverbrüchlicher Freundschaft Auserwählter sein, denen Heimats- und Vaterlandstreue selbstverständlich waren. Darüber hinaus setzte sie sich die Pflege eines honorigen Burschentums zur Aufgabe. Hier lag immer noch viel im argen. Abgesehen davon, dass nicht nur kriminelle Vergehen unter den Studenten dieser Zeit keineswegs selten waren, auch der studentische Umgangston ließ manches zu wünschen übrig. Selbst der damaligen sicher nicht zart besaiteten Zeit war vieles unerträglich.
Es ist das unbestreitbare Verdienst der Corps, auf allen Universitäten in den ersten zehn Jahren des 19. Jahrhunderts hierin einen erheblichen Wandel zum Besseren herbeigeführt zu haben. Zum erstenmal legten sie den bisher nur mündlich überlieferten Komment (oder wie sein Untertitel meist besagt, die allgemein verbindlichen Regeln für das Burschenverhältnis auf der Universität) schriftlich fest, machten ihn auch den anderen Studenten zugänglich und entzogen ihn damit der bisher üblichen willkürlichen Auslegung. Besonders niederträchtige Beleidigungen wurden unter Strafe gestellt. Das wilde Duell, das sog. Rencontre, wurde endgültig abgeschafft, und in eingehenden Bestimmungen wurde festgelegt, wie sich jedes Duell abzuwickeln habe. Das Verhältnis der Landsmannschaften untereinander und zu den anderen Studenten wurde gleichfalls eingehend geregelt, zugleich aber auch im Komment bestimmt, dass jeder Student, ob Landsmannschafter oder nicht, seinen Strafbestimmungen unterworfen sei. Unhonorige Handlungsweise, Diebstahl, Betrug, Petzen, Kneifen, feiges Schlagen usw. wurden unter die Strafe des Verrufs gestellt, eine Strafe, die damals noch von Studenten und Nichtstudenten außerordentlich gefürchtet war. Das für alle Studenten zuständige Gericht bildeten wiederum die im Senioren-Convent vereinigten Vertreter der Landsmannschaften, die dieses Recht sowie überhaupt das Recht, die Gesamtstudentenschaft zu vertreten, aus der Tatsache herleiteten, dass die Landsmannschaften durch die Rekrutierungskantone sämtliche Heimatländer der Studenten repräsentierten. Dass sich der SC durch seine Gerichtsbarkeit und seinen Anspruch auf die ausschließliche Vertretung der Studentenschaft auch die Feindschaft mancher anderen Studenten zuzog, nimmt nicht wunder. Aber ein beachtlicher Erfolg ist ihm nicht versagt geblieben. Dem studentischen Rowdietum, der sogenannten nassen Renommage, wurde frühzeitig das Handwerk gelegt.
Als das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zu Ende gegangen war, hatten sich die Corps die einzigen damals auf den Universitäten bestehenden Verbindungen überall durchgesetzt. Ein neues studentisches Gemeinschaftsleben blühte, wenngleich stark beschattet durch die Not des Vaterlandes. Und im Hass gegen Napoleon, im Hass gegen die Fremdherrschaft waren sich alle Corps und mit ihnen der beste Teil der Studenten einig. Als am 17. 3. 1813 der Aufruf „An mein Volk“ erging, da waren die Aktiven die ersten, die den Schläger mit der Büchse vertauschten, um das Joch abzuschütteln. Mit der Hoffnung auf eine bessere politische Zukunft, auf einen Kaiser und ein Reich, zogen sie damals in die Schlachten. Die Saat, die Uhland, Arndt, Rückert und Schenkendorf gesät, schien aufzugehen, das Ziel, für das Fichte, Jahn und so viele andere unermüdlich geworben hatten, schien Wirklichkeit werden zu wollen.
Der Krieg wurde gewonnen. Schulter an Schulter hatten die verschiedensten deutschen Stämme gekämpft. Aber das, was man sich vorn Sieg erhofft hatte, blieb aus. Der Ausgang des Wiener Kongresses zerschlug alles; der Traum politischer Einheit und Freiheit war ausgeträumt. Aber auf den Universitäten wirkte er doch noch nach: Die Abschaffung der Landsmannschaften, welche die Studentenschaft in Rheinländer, Westfalen, Märker, Pommern usw. schieden, und die schon durch ihren Bestand angeblich geradezu die Zerrissenheit Deutschlands ad oculos demonstrierten und verewigten, war daher jetzt das zwar nicht ganz neue, aber nunmehr doch auch in weiteren studentischen Kreisen verfochtene Ideal. Das bedeutete die Gründung einer alle Hochschulen umfassenden, für vaterländische Einheit begeisterten, aber auch demokratisch organisierten Studentenschaft unter dem Namen Burschenschaft Gesamtheit aller Burschen (weibliche Studenten gab es damals noch nicht) das ersehnte Ziel. Corpsstudenten, Kriegsteilnehmer, waren es, die in Jena diesen Gedanken zuerst verwirklichen wollten. Am 12. 6. 1815 zogen, nachdem der Senior der Vandalen eine gemeinsame Konstitution ausgearbeitet hatte, die Jenenser Corps mit wehenden Fahnen nach der Tanne, lösten sich hier feierlich
auf und gründeten die allgemeine Burschenschaft von Jena, der sämtliche Studenten angehören sollten. Die Senioren (Obleute ihrer Verbindungen) traten in den Vorstand dieser allgemeinen Burschenschaft ein, die zunächst nach den eigenen Angaben eines ihrer Vorsteher, Wesselhöft, nichts anderes als ein großes Corps war.
Der Gedanke solcher Gründungen griff auch auf andere Hochschulen über. Doch war hier vielfach nicht patriotischer Idealismus, sondern nur die Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft der Corps die Triebkraft der Ausführung. Nirgends sonst kam es deshalb zu einer vollständigen Auflösung des örtlichen Seniorenconvents (Obmännerkonferenz), wenngleich sich auch hier und da das eine oder andere Corps an solchen Gründungen beteiligte. Die meisten Corps hielten an ihren Grundsätzen fest. Man versprach sich nichts von so großen Vereinigungen, die keine Eigenentwicklung zuließen. In einer Beziehung wirkte sich aber die Bewegung doch auf alle Corps aus: Die kantonale Einteilung der Rekrutierungsbezirke wurde nun überall abgeschafft. Wohl kam der Nachwuchs auch in den nächsten Jahren aus alter Gewohnheit noch zumeist aus den früheren Gebieten. Aber daneben tauchen auch schon Aktive aus anderen Bezirken auf.
Nun bestanden also zwei verschiedene Verbindungsarten auf den Universitäten: die Corps und die Burschenschaft. Jeder Teil nahm für sich in Anspruch, die Gesamtheit der Burschen zu vertreten. Schon das führte naturgemäß zu Reibereien. die sich in der nächsten Zeit noch dadurch erheblich verstärkten, dass die Burschenschaft das bei den Corps gepflegte Mensurwesen ablehnte und jede Partie einem zwingenden Ehrengericht unterstellt haben wollte. Darauf konnten und wollten die Corps aber schon deshalb nicht eingehen, weil sie zu dieser Zeit bereits eine Art Sportmensur entwickelt hatten. So kam es denn in den folgenden Jahren zu fortgesetzten gegenseitigen Verrufen, die immer nur durch kurze Perioden der Einigung unterbrochen wurden. Von etwa 1820 an wurde die gegenseitige Abneigung außerdem noch durch die fortschreitende politische Radikalisierung der Burschenschaft erheblich verstärkt. Seit dieser Zeit wurde zwischen beiden Parteien um die wirklichen studentischen Belange eigentlich nur noch am Rande gekämpft. In Wirklichkeit rang, den Verhandlungspartnern zwar nicht immer voll bewusst, die monarchisch konstitutionelle konservative Anschauung der Corps gegen die revolutionäre republikanische der Burschenschaft. Darum blieb auch die Gegnerschaft zwischen den beiden Parteien so tief und war so lange wenigstens auf die Dauer nicht überbrückbar, bis auch die Burschenschaft sich zum monarchischen Gedanken bekannte. Das geschah aber erst nach den Einigungskriegen, und von da ab bestanden auch zwischen diesen beiden alten Gegnern keine prinzipiellen Gegensätzlichkeiten mehr.