Die Universitäten und das Verbindungsleben bis zur Gründung der Corps
Die ersten Anfänge studentischen Gemeinschaftslebens reichen schon in die Zeit zurück, als es in Deutschland selbst noch keine Hochschulen gab. Wer im 12. und 13. Jahrhundert studieren wollte, musste sich in sehr beschwerlicher Reise z. B. nach Bologna, Padua, Salerno oder Paris begeben. Trotz dieser Schwierigkeiten fanden sich an diesen Orten aber schon damals alljährlich Tausende von Studierenden zusammen, darunter sehr viele Deutsche. Zu ihrem Schutz verlieh Friedrich Barbarossa im Jahre 1158 Lehrern und Schülern das Recht, universitates magistrorum et scholarium zu bilden.Durch diesen kaiserlichen Erlass bekamen sie ein eigenes Recht und konnten geschlossen nach außen auftreten. Daraus entwickelte sich später das akademische Bürgerrecht, auf Grund dessen die Studierenden noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ihre eigene Gerichtsbarkeit hatten. Innerhalb dieser universitates gliederte man sich entweder nach Fakultäten oder nach den Herkunftsländern, nach nationes. Paris hatte z. B. die Fakultäts-, Bologna oder Padua die Nationaleinteilung. Bei Gründung der ersten deutschen Universität in Prag (1348) wurde die innere Einteilung nach Nationen auch hier übernommen. Der Aufbau der Nationen selbst hatte sein Vorbild offensichtlich in den deutschen Gilden (Gilde-Genossenschaft geistlicher oder weltlicher Art).
Die Nationen waren in erster Linie Zusammenschlüsse zu gegenseitiger Hilfeleistung und Unterstützung, denn die Heimat war weit, die Verbindung dorthin schlecht. Da auch bei der Gründung weiterer deutscher Universitäten (Wien 1365, Heidelberg 1386) die Einteilung in Nationen vielfach verwendet wurde, müssen wir in diesen Nationen die Wurzeln der späteren landsmannschaftlichen Zusammenschlüsse, also die Wurzeln der studentischen Verbindungen überhaupt, sehen. Eine solche Entwicklung wurde noch wesentlich unterstützt durch die amtlichen Anordnungen über das studentische Wohnwesen. Nach dem Vorbild der mittelalterlichen Klosterschulen sollten nämlich möglichst alle Studenten unter der Aufsicht von Professoren in besonderen Kollegienhäusern (Bursen ) wohnen. Ihre Verteilung erfolgte auch hier meist nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten. Die Bursen hatten ihre eigenen Vorsteher, ihre eigenen Satzungen, zum Teil auch schon ihre eigenen Abzeichen in den Landesfarben der Heimat.
Für das 16. Jahrhundert bildeten diese Nationalbursen den Hauptausgangspunkt der studentischen Vereinigungen. Ihre Bewohner traten insbesondere dann geschlossen, oft schon unter gleichfarbigen Abzeichen, nach außen auf, wenn es galt, einen Landsmann gegen Angriffe anderer zu schützen. Auch als das Wohnungswesen der Studenten in der Reformationszeit gelockert wurde und darauf die Bursen nach und nach eingingen, blieb auf den meisten Universitäten der feste Zusämmenschluss der Landsleute bestehen, ja, er kam vielfach erst jetzt zur rechten Blüte. Ihre Organisation wurde fester, sie trugen nun öfter gleichfarbige Abzeichen, verlangten den Beitritt eines jeden
Landsmannes und duldeten keine andere studentische Vereinigung neben sich. Einen Duellzwang hatten sie nicht. Das landsmannschaftliche Band verknüpfte die Mitglieder auch nur für die Universitätszeit.
Nach 1740 trat etwas Neues in das studentische Gemeinschaftsleben. Von England her war um diese Zeit der Ideenkreis der Freimaurerei gekommen. Er fand außerordentlich schnell viele Anhänger. Überall wurden Logen gegründet, und die neue Geistesbewegung ergriff selbstverständlich auch die Studenten. Zunächst traten sie mit in bürgerliche Logen ein. Doch bald gründeten sie eigene Logen, die sogenannten studentischen Orden, im Anfang häufig innerhalb der einzelnen Landsmannschaften, später aber auch deren Grenzen überspringend. Gesetze und Bräuche der Freimaurerei waren in diesen Orden mit denen der Landsmannschaften vermischt und für die studentischen Zwecke abgewandelt.
Aber doch bestanden wesentliche Unterschiede zwischen den Orden und den bisherigen alten Landsmannschaften: Während die letzteren ihren Bund nur auf die Universitätsjahre beschränkten und in ihm möglichst alle Landsleute vereinigen wollten, bestanden die Orden aus besonders Ausgewählten, ohne Rücksicht auf deren Heimat, die sich auf Lebenszeit miteinander verbinden wollten. Sie sprengten die altlandsmannschaftlichen Zusammenschlüsse und bereiteten damit deren baldigen Untergang vor. Freimaurerisches Weltbürgertum gab den Orden das charakteristische Gepräge.
Die Blütezeit der Orden, die auf allen Universitäten Eingang gefunden hatten, liegt um 1780. Ihre Namen lassen sich im einzelnen nicht alle aufzählen. Amicisten, Constantisten, Unitisten und Harmonisten waren die größten und einfluss-reichsten. Für die Entwicklung des studentischen Gemeinschaftslebens haben sie manches Gute geleistet. Sie haben das Standesbewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Studentenschaft entwickelt und gestärkt, sie haben die gesellschaftlichen Schranken zwischen adeligen und bürgerlichen Studenten niedergelegt, sie haben den Begriff der Standesehre gebildet, haben das Duellwesen in geregeltere Bahnen gelenkt, kurz, sie haben die Grundlage zu dem gelegt, was man später unter Komment verstand. Den Behörden waren sie allerdings ein Dorn im Auge. Wie schon den alten Landsmannschaften, so warf man ihnen noch in verstärktem Maße vor, die Autorität der Behörden planmäßig zu untergraben, die Duelle zu vermehren, unmoralische Auffassungen dadurch zu verbreiten, dass sie jedes von Amtsstellen erzwungene Ehrenwort für unverbindlich erklärten. Eine strenge Verfolgung setzte auf der ganzen Linie ein.
Doch diese Verfolgungen allein hätten sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts sicher nicht untergehen lassen, wenn sie nicht zu dieser Zeit schon den Keim des Verfalls aus anderen Gründen in sich getragen hätten. Ihre Gedanken waren in leere Vernünfteleien ausgeartet. Weltbeglückung sollte das letzte Ziel sein. Die Ideen Rousseaus und der Französischen Revolution wurden verfochten. Geistiger Hochmut und Überheblichkeit wurden insbesondere auch den anderen Studenten gegenüber in einer Weise an den Tag gelegt, dass diese immer mehr gegen die Orden in Opposition gingen. Mit Riesenschritten traten die Orden, die ihrerseits die Grundlagen der alten Landsmannschaften zerstört hatten, von der Bildfläche ab.